Türkei (ab Istanbul)

Unter der Touristen-Tarnkappe

Innerlich Pilger - aeusserlich Touristen: Wir beherzigen einen wohlmeinenden Rat.

Was nun??? Wir sitzen in der kleinen Kantine einer Kaserne der "Jandarma" (sprich: Schandarma  = Polizeiabteilung der Armee, im Unterschied zur "polis"=Verkehrspolizei) und warten.

Mit selbstgemachtem Frühstück in einem Pensionszimmer hatte der vergangene Sonntag gut begonnen. Nach einigen Kilometern verliert sich der bis dahin noch befahrbare Feldweg in einem grossen Bachbett, wo laut Karte eine Strasse führen sollte. Weder Papier- noch elektronische GPS-Karte stimmen mit der Realitaet überein (was Gott sei Dank noch selten passierte). Die GPS-Navigation gibt uns zumindest die Richtung in das naechste Dorf, 3 km auf Wegspuren über die Hügel von über 1400m. Dann Hundegebell aus mehreren Richtungen. Brigitte geraet schon etwas in Panik. Dann flitzt 20 m vor uns ein grauer Fuchs vorbei - in einigem Abstand dahinter 3 wütende blitzschnelle Hunde verschiedenen Kalibers. Gottseidank jagen sie den Fuchs und nicht uns und sind im Nu wieder weit entfernt!

Zurück auf der Landstrasse kommen wir nach anstrengenden 31 km gegen Abend in dem grossen Dorf A. an. Angeblich soll es in dem 3000-Seelen Bergdorf ein "Hotel" geben. Kurz vor der Dorfmitte liegt die Kaserne, wo ein Dutzend Wehrpflichtige Jandarmas ihren Dienst ableisten. Wir fragen am Tor nach dem Hotel. Nein, gibt es hier nicht. Der Wachposten ruft seinen Vorgesetzten, der erst mal unsere Paesse sehen will, lange studiert, besonders das Visum für Syrien. Wir zeigen ihm zusaetzlich unseren Pilgerausweis mit den Stempeln als Beleg für das, was wir machen. Mit misstrauischem Gesicht nimmt der Jardarma alles an sich und beginnt zu telefonieren. Unsere Stimmung am Kasernentor wechselt zwischen Hoffnung auf Hilfe und Bangen wegen der Paesse. Da erscheint ein weiterer Jardarma, ein Wehrpflichtiger, der sich als unser Engel entpuppt. Er ist Englisch-Lehrer, übernimmt die Übersetzung und bittet uns in die Kaserne (die Rucksaecke bleiben draussen in der - so hoffen wir - Obhut des Wachposten). In dem kleinen Kantinenraum bekommen wir erst mal den üblichen Çay (Tee) und warten. Was nun??? Gott sei Dank wissen wir schon, dass Warten müssen kein schlechtes Zeichen sein muss. Trotzdem wird eine knappe halbe Stunde schnell lange in so einer Situation.

Endlich kommt der freundliche und hilfsbereite Englischlehrer wieder mit der frohen Botschaft: Wir können beim Bürgermeister ("president of the town") übernachten - so verstehen wir es zumindest. Wir müssten aber noch eine Stunde warten, bis er uns abholt. Solange koennen wir mit dem Lehrer zusammen sitzen, dem ersten Türken nach drei Wochen, mit dem wir uns auf Englisch gut verstaendigen können. Natürlich empfiehlt er uns, auf Wertsachen aufzupassen, weil die Leute hier arm sind, und - ja dieses Wort benutzt er - "hungry", hungrig. Nach allem was wir schon gesehen haben in den Bergdörfern Anatoliens ist das wahrscheinlich keine Übertreibung. Als ich ihn frage, wie offen wir sagen können, dass wir nach Jerusalem pilgern (und als Westeuropaeer natürlich für Christen gehalten werden) raet er uns dringend davon ab, darüber zu reden. Besonders in der Region von Konya, in die wir bald kommen, einer Hochburg des Islam, gaebe es auch radikale Muslime. Sie könnten uns als Pilger möglicherweise missionarische Absichten unterstellen und das könnte uns in Schwierigkeiten bringen.

Wir sind dankbar für diesen ehrlich gemeinten Rat. Ich hatte schon seit einigen Tagen bemerkt, dass die Reaktionen verhalten waren, wenn ich jemandem sagte, was wir machen. Wir beschliessen also, von nun an unter der Tarnkappe des Touristen zu laufen, "Pilger undercover" sozusagen. In den Regionen, in die wir nun kommen werden, durchaus glaubhaft. Trotzdem merken wir, wie die Einschaetzung und der wohlmeinende Rat des Englischlehrers etwas für uns veraendert haben. An  Stelle der Unbefangenheit, mit der wir uns auch als Pilger bisher hier bewegt haben, ist eine gewisse Ernüchterung getreten. Die Realitaet der Spannungen und Konflikte zwischen den Religionen hat uns schon weit vor Israel eingeholt.

Ach ja, wie unsere Übernachtung ausging? Der nette Bürgermeister (kein Wort Englisch) brachte uns in das zur Gemeinde gehörende Nachbardorf. Dort gab es eine Art Dorfgemeinschaftsraum, ein kleiner einfacher Raum mit Polstern zum auf dem Boden sitzen und schlafen - Plumpsklo über die Strasse in dem uralten Haus des Gemeindedieners (für so etwas halten wir den Bauern mit 600 Schafen). Nach einer unruhigen Nacht und ohne Möglichkeit zum Waschen (geschweige denn Duschen) sind wir dann gestern 20km ins naechste Dorf gelaufen und (auch dem Rat des Englischlehrers folgend) die restlichen 60km nach Konya mit dem Bus gefahren. Eine landschaftlich schöne Strecke durch Berge und Felsformationen, auf der es aber keinerlei Übernachtungsmöglichkeit gegeben haette.

Nun machen wir in Konya zwei Ruhetage in einen Hotel mit Kantine, erholen uns und besichtigen ein wenig. Der Winter ist hier vorüber, anders als in Deutschland freuen wir uns über Temperaturen zwischen 10 und 20 Grad, die schon manche Rast im Freien möglich machen. Nach einem Bustransfer nach Kappadokien wollen wir übermorgen unseren Weg von dort aus fortsetzen. Vom Erdbeben in der Osttürkei war hier übrigens nichts zu spüren.

Für alle Grüsse und Wünsche, die uns begleiten und ermutigen, ein herzliches Danke!

Veröffentlicht: 09.03.2010          Wolfgang und Brigitte

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