Endlich am Ziel: In deinen Toren kann ich atmen??
Es muss doch ein wunderbares Gefuehl sein, endlich anzukommen und den Spuren Jesu nach zu gehen– so und aehnlich lauteten viele Mails und Gruesse, als wir in Jerusalem ankamen. Doch warum stellt sich bei mir dieses Hochgefuehl nicht ein? Bin ich einfach nur schon zu voll mit Eindruecken und zu muede? Und auf den Spuren Jesu? Atmen kann ich im Gedraenge der vielen Pilgergruppen an den Heiligen Staetten kaum – fuer mich ist wenig Raum zum Verweilen und Nachklingen lassen und Angeruehrt werden von den Staetten des Lebens Jesu.
Natuerlich ist der Blick vom Oelberg auf Jerusalem wunderbar und Jerusalem mit den Heiligen Orten der drei grossen Religionen die Heilige Stadt schlechthin. Warum bin ich trotzdem nicht einfach froh, hier zu sein?
Weil Jerusalem eben nicht nur eine Heilige Stadt ist, sondern eine der kompliziertesten Staedte der Welt. Wie unter dem Brennglas buendelt sich hier die politische Situation im Nahen Osten. Die spuerbaren Spannungen in der Stadt und die allgegenwaertige Praesenz des Militaers machen das nur allzu deutlich. Und das ist es auch, was mich in meinen ersten Tagen im Heiligen Land am meisten innerlich bewegt : nicht die damalige Via dolorosa, sondern der Weg der Demuetigung von Palaestinensern durch den Checkpoint, die Not von Beduinen, fuer die kein Platz mehr ist und auch beim Besuch in Yad Vashem der Leidensweg des juedischen Volkes. Und nicht die Auferstehungskirche als Ort, sondern die kleinen Auferstehungserfahrungen beruehren mich: ein juedischer Rabbi und eine Combonischwester, die sich mit ganzer Kraft fuer die Beduinen einsetzen, eine Fakultaet fuer Krankenpflege in Qebeibe als Hoffnungsort fuer eine Region in den Westbanks, die vielen Gebete um den Frieden hier. Erst in den vier sehr stillen Tagen, die Wolfgang und ich in Tabgha am See Genesareth verbringen duerfen, koennen sich meine Erfahrungen der ersten Tage im Heiligen Land ein wenig setzen und sortieren. Tabgha wird fuer mich persoenlich ein Stueck zu einem Heiligen Ort auf den Spuren Jesu, einem Ort, an dem ich auch all die Menschen noch einmal ins Gebet nehmen kann, die uns ihre Anliegen mit auf den Weg gegeben haben und an dem ich Rueckschau halten kann auf unseren Pilgerweg.
Was war wichtig? Was hat sich veraendert? Was bleibt? – Ein paar vorlaufige Gedanken
Meine Welt ist weiter geworden
Nicht nur durch ganz neue Landschaften und Sehenswuerdigkeiten. Nicht nur durch ganz neue Pflanzen und Tiere (wie den Klippdachs) oder Gerueche (wie den Duft der Orangenblueten), auch durch neue Fragestellungen und Meinungen, durch die Begegnung mit Menschen in ganz anderen Lebensumstaenden und mit anderen Religionen. Und mit einer neuen Sensibilitaet fuer Fluechtlinge, die aus ihrer Heimat vertrieben werden und fuer Fragen des Friedens. Das hat mir die Seele weit gemacht. Gebe Gott, dass es nicht so schnell wieder eng wird im Alltag.
Laender haben Namen und Gesichter bekommen
Im Gespraech mit Anad, einer jungen juedischen Frau, deren Familie uns am See Genesareth zu Shavuot eingeladen hat, meinte sie, auf den Konflikt zwischen Israelis und Palaestinensern bezogen: es veraendert sich etwas, wenn es persoenlich wird . Aber das gilt auch fuer unsere Pilgerreise: wir haben Zeit gehabt, es persoenlich werden zu lassen: bei einer Uebernachtung oder auch beim Tee am Strassenrand, bei einer fluechtigen Begegnung genauso wie bei einem laengeren Gespraech: jedes Land ist fuer mich verbunden mit Gesichtern und Begegnungen und Namen, und damit mit Schicksalen, Problemen und Freuden von Menschen. Keine Einbahnstrasse, bei der wir nur die Beschenkten waren, sondern auch Schenkende. Das laesst mich noch jetzt in der Erinnerung an Begegnungen froh werden.
Was hat sich veraendert – oder auch nicht?
Wie euch diese Pilgerreise wohl veraendert haben wird? Ob eine solche Pilgerreise wohl hilft, ein wenig heiliger und besser zu werden? Das ist eine Vorstellung, die ich und andere von einem solchen Unternehmen hatten. Jetzt am Ende unserer langen Pilgerreise moechte ich der Ehrlichkeit halber doch etwas dazu sagen: fuer mich waren es genau die alten Themen und Muster und Grenzen, die mir zu schaffen gemacht haben und mir gezeigt haben, wie sehr ich und wir alle doch erloesungsbeduerftig bleiben.
Anders als erwartet - und dennoch: vertrauen
Planen, organisieren und moegliche Sicherheiten schaffen, das kann ich ganz gut und ist auch beim Pilgern noetig. Doch fast jeder Pilgertag war irgendwie anders als geplant und erwartet. Offen sein, mich einlassen auf eine Situation, sie annehmen - in die eine oder andere Richtung – das war nicht immer leicht fuer mich. Aber viel oefter durfte ich erleben, dass ich gerade im Loslassen reich beschenkt wurde und dass Gott mir und uns immer das zukommen liess, was wir gebraucht haben – manchmal in einer Fuelle, die mich sehr dankbar und demuetig gemacht hat. Das Vertrauen auf Gott, der so spuerbar meinen und unseren Weg begleitet hat, laesst mich mit Zuversicht wieder zurueck kehren nach Wuerzburg. Und es laesst mich hoffen, dass all unsere instaendigen Gebete um den Frieden hier im Heiligen Land und im gesamten Nahen Osten nicht vergeblich sind.
Veröffentlicht: 22.05.2010 Brigitte